Pflegepersonaluntergrenzen - gut gemeint, aber unbrauchbar

Seit 2018 wird den Krankenhäusern eine Mindestpersonalausstattung in sogenannten „pflegesensitiven“ Bereichen vorgegeben. Mit den Pflegepersonaluntergrenzen sollen die Qualität der Pflege verbessert und das Personal entlastet werden. Wie unser Faktencheck zeigt, werden diese Ziele nicht erreicht. Stattdessen erschweren die Vorgaben eine gute Versorgung.

Die aktuelle Regelung

Die nebenstehende Abbildung zeigt, für welche Krankenhausabteilungen derzeit welche Untergrenzen bei der Besetzung mit Pflegepersonal gelten. Festgelegt ist jeweils die Anzahl von Patient:innen im Verhältnis zu einer Pflegekraft. Die Grenzen wurden per „Ersatzvornahme“ durch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) bestimmt. Eigentlich hatten die Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG) und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-SV) den gesetzlichen Auftrag, sich auf die Werte zu einigen sowie Regelungen zum Nachweis und zu Vergütungsabschlägen zu treffen. Weil keine Vereinbarung getroffen wurde, hat der Gesetzgeber die Untergrenzen vorgegeben.

Warum die Vorgaben ungeeignet sind:

► Fachkräftemangel wird verschärft
In der Pflege besteht seit Jahren ein erheblicher Fachkräftemangel. Nahezu jedes Krankenhaus hat offene Stellen in der Pflege, die sich wegen fehlendem Personal auf dem Arbeitsmarkt nicht besetzen lassen. Pflegepersonaluntergrenzen helfen hier nicht, sondern verschärfen die Situation. Um eine Untergrenze einzuhalten, müssen Pflegekräfte in Bereichen eingesetzt (dokumentiert und nachgewiesen) werden in denen sie nicht benötigt werden, dafür fehlen sie an anderer Stelle.

► Beseitigung von gar nicht bestehenden Fehlanreizen
Befürworter der Pflegepersonaluntergrenzen betonen, diese seien wegen Fehlanreizen des DRG-Systems notwendig, denn es würde auf Kosten der Pflegekräfte gespart. Doch das Argument greift nicht: Spätestens seit der Rückkehr zur Selbstkostendeckung in der Pflege (Pflegebudget) werden Pflegekosten voll refinanziert und müssen genaustens dokumentiert werden. Es gibt keinerlei Anreize, an Pflegepersonal zu sparen.

► Mehr Bürokratie statt mehr Qualität
Die Untergrenzen bedeuten vor allem Zählen und Dokumentieren. Doch das bloße Zählen von Köpfen verbessert nicht die pflegerische Versorgung und entlastet auch nicht die Pflegekräfte. Dass die Untergrenzen nichts gebracht haben, bestätigen auch die Pflegekräfte selbst. Laut einer Umfrage des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe bewerten zwei Drittel die Personaluntergrenzen als „keinesfalls hilfreich“. Hauptkritikpunkt: zu viel Bürokratie.
Ein völlig überflüssiger bürokratischer Aufwand bei den Pflegepersonaluntergrenzen ist zudem, dass Pflegehilfskräfte mit einjähriger Ausbildung nur anteilig angerechnet werden dürfen und Hilfskräfte ohne Pflegeausbildung überhaupt nicht. Sogar im umstrittenen Pflegebudget wird eine sinvollere Anrechnungslogik angewendet.

► Undifferenziert und schädlich für Spezialversorger
Besonders kritisch ist die Wirkung von Untergrenzen in speziellen Versorgungssituationen:

  1. Beispiel Konservative Akut-Orthopädie:Die Untergrenzen sollen 2022 auf den Bereich Orthopädie erweitert werden. Problematisch ist dabei, dass die Orthopädie zwei grundlegend verschiedene Versorgungsformen beinhaltet, die Operative Orthopädie und die Konservative Orthopädie. Bei der Behandlung im Rahmen der konservativen Orthopädie stehen nicht-operative Therapieverfahren im Vordergrund: Bei multimodalen Komplexverfahren am Bewegungssystem (OPS 8-977) z. B. Physiotherapie bei multimodalen Schmerztherapie (OPS 8-918) z. B. die direkte Verabreichung von Schmerzmedikamenten. Für beide Bereiche gelten derzeit die Pflegepersonaluntergrenzen der allgemeinen Chirurgie. Ab 2022 wird es für den Bereich der Orthopädie eine eigene Untergrenze geben. Es muss bei den Vorgaben unbedingt differenziert werden. Patienten der konservativen Akut-Orthopädie benötigen im Gegensatz zur operativen Orthopädie deutlich weniger pflegerische Betreuung.
  2. Beispiel Neurologische Frührehabilitation und Stroke Units: Der einseitige Bezug auf Pflege wird der wesentlichen Bedeutung der interdisziplinären Pflege- und Therapeutenteams sowohl auf Stroke Units als auch auf Abteilungen der Neurologischen Frührehabilitation nicht gerecht. In der Neurologischen Frührehabilitation haben Leistungen der therapeutisch-aktivierenden Pflege einen großen therapeutischen Anteil. Diese werden von therapeutischen Spezialisten außerhalb der Pflege übernommen, die in festen Teams (z. B. Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Sprachtherapeuten oder Neuropsychologen) ebenfalls den bettenführenden Stationen zugeordnet sind. Pflegepersonaluntergrenzen sind hier zu eindimensional und gefährden etablierte Versorgungskonzepte.

► Fazit:

  • Pflegepersonaluntergrenzen sind gut gemeint, verbessern aber nicht die Qualität der Versorgung oder die Situation der Pflegekräfte, sondern erschweren gute Versorgung.
  • Spätestens seit der Einführung des Pflegebudgets ist das Instrument unnötig geworden und sollte abgeschafft werden.
  • Gute Personalplanung lässt sich nicht verordnen, sondern muss in der Eigenverantwortung der Kliniken liegen.
  • Besser wäre es, Pflege gezielt dadurch zu stärken, dass man Elemente der Unterfinanzierung (Investitionsdefizit der Bundesländer, kein hälftiger Tarifausgleich) endlich beseitigt und die Attraktivität des Pflegeberufs erhöht (z. B. durch die Übernahme ärztlicher Aufgaben)
  • Parallel sollte konsequent die Qualität der pflegerischen Versorgung gemessen und verbessert werden (bspw. Dekubitusraten) und neue Indikatoren zur Ergebnisqualität geschaffen werden.
  • Wird dennoch an den Personaluntergrenzen und ihrer Weiterentwicklung festgehalten, dann muss darauf geachtet werden, etablierte Versorgungskonstellationen in speziellen Bereichen nicht zu gefährden.

Weitere Informationen zu Pflegepersonaluntergrenzen finden Sie hier:

Stellungnahme des BDPK zum Gesetzentwurf vom 30.09.2019

BDPK-Beitrag „Pflegepersonaluntergrenzen zwischen Bürokratie und Fachkräftemangel“

BDPK-Beitrag „Attraktivität des Pflegeberufs durch pflegeentlastende Maßnahmen steigern“

Info-Sammlung der Deutschen Krankenhausgesellschaft