Pflegebudget: Viel Aufwand, falsche Wirkung

Die Krankenkassen werfen den Krankenhäusern „Umbuchungen“ und „Doppelabrechnungen“ bei den Pflegepersonalkosten vor. Unser Faktencheck zeigt, warum die Anschuldigungen falsch sind, welche Strategie die Kassen verfolgen und wodurch der Disput entstanden ist.

► Warum die Vorwürfe unzutreffend sind

  • Es wird nicht „umgebucht“, sondern eine gesetzliche Vorgabe umgesetzt. Die Krankenhäuser halten sich genau an das, was der Gesetzgeber vorgegeben hat:
  • Bis 2019 diente die Erfassung und Differenzierung der Personalkosten nach Berufsgruppen und Tätigkeiten allenfalls statistischen Zwecken, seit 2020 hat die präzise Einordnung gravierende finanzielle Wirkungen. Denn mit dem 2020 in Kraft getretenen „Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals“ wurde geregelt, dass die Kosten für „Pflege am Bett“ aus dem Fallpauschalen-System ausgegliedert und über ein eigenes Pflegebudget nach dem Selbstkostendeckungsprinzip bezahlt werden. 
  • Die Krankenhäuser sind seit dem gesetzlich dazu verpflichtet, die Pflegekostenanteile in der unmittelbaren Patientenversorgung zu ermitteln und auszuweisen.
  • Mit dem Pflegebudget sollen zusätzliche Stellen in der Krankenhauspflege geschaffen und die Finanzierung der Pflegepersonalkosten besser abgesichert werden. Dadurch, dass sich die Krankenhäuser an die gesetzlichen Vorgaben halten und eine genaue Abrenzung der Pflegepersonalkosten vornehmen, bekommen die Pflegekosten – wie es der Gesetzgeber gewollt hat – einen festgelegten Anteil an der Krankenhaus-Vergütung. Das als „Umbuchung“ und „Doppelabrechnung“ zu bezeichnen, ist schlichtweg falsch.

► Worum es tatsächlich geht

Die Ursachen für den steigenden Anteil der Pflegepersonalkosten sind vielfältig und von Krankenhaus zu Krankenhaus unterschiedlich ausgeprägt:

Ausländische Pflegekräfte

Aufgrund des Fachkräftemangels in Deutschland haben viele Kliniken mit
hohem Aufwand Personal im Ausland rekrutiert.

Ost-West-AusgleichDer Ausgleich der Tarifunterschiede zwischen ost-und westdeutschen
Bundesländern hat bei vielen Kliniken zu Mehrkosten ohne Neueinstellun-
gen geführt.
Mehr AusbildungDie deutschen Krankenhäuser haben bundesweit frühzeitig Ausbildungs-
offensiven gestartet und die Zahl der Ausbildungsplätze deutlich erhöht
(die Ausbildungsplätze erscheinen aber nicht in der „Vollkräfte-Statistik“).
Nachhol-EffekteViele Kliniken hatten bereits vor Einführung des Pflegebudgets einen
hohen Personalkostenanteil ausgewiesen und brauchen dementsprechend
jetzt nichts mehr „nachholen“. Bei anderen dagegen lag die Pflege-
personalkostenquote unter dem Durchschnitt, weil bei ihnen Service-
Dienste (z.B. Verpflegung, Bettenmachen) stärker als bei anderen extern
ausgelagert waren. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit müssen
diese Kliniken jetzt neu organisieren und haben dadurch höhere
Steigerungswerte als andere Kliniken.
Hohe Interdisziplinarität

In einigen Kliniken, zum Beispiel in der Neurologischen Frührehabilitation,
wird die therapeutisch-aktivierende Pflege von Spezialkräften wie Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Sprachtherapeuten oder Neuro-
psychologen übernommen. Sie sind ebenfalls bettenführenden
Stationen zugeordnet und leisten vor oder neben der eigenen Spezial-
therapie pflegetherapeutische Anwendungen (z. B. Waschtraining, Anziehtraining, Essensbegleitung, Vertikalisierung).

► Angriffe auf private Klinikträger

  • Mehr oder weniger offen beschuldigen die Krankenkassen sogar private Krankenhausträger der „Trickserei“ und behaupten, sie hätten in größerem Umfang als Kliniken in anderer Trägerschaft „strategisch umgebucht“. Dies ginge zu Lasten der anderen Träger und des Personals.
  • Tatsächlich mag es zutreffen, dass Krankenhäuser die neuen gesetzlichen Vorgaben unterschiedlich interpretieren und anwenden oder einigen Kliniken die wirtschaftliche Tragweite der neuen Regelung erst nach und nach bewusst wird. Wenn aber Kliniken, unabhängig von ihrer Trägerschaft, neue gesetzliche Bestimmungen sorgfältig umsetzen und wirtschaftlich sinnvoll handeln, sollten die Krankenkassen ihnen das nicht vorwerfen.

► Korrektes Verhalten vielfach bestätigt

  • Das verschweigen die Krankenkassen in der öffentlichen Debatte: Die Krankenhäuser haben vor den gesetzlichen Schiedsstellen bisher jedes Verfahren gewonnen, in denen es darum ging, welches Krankenhauspersonal als pflegebudgetrelevant anerkannt werden kann.
  • Seit Einführung des Pflegebudgets wurden zahlreiche Schiedssprüche in unterschiedlichen Bundesländern getroffen und veröffentlicht, die sich im Wesentlichen mit den gleichen Themen beschäftigt haben und auch zum gleichen Ergebnis kamen: Bei der Anerkennung des pflegebudgetrelevanten Krankenhauspersonals bzw. der Tätigkeiten des Personals besteht grundsätzlich keine Einschränkung auf bestimmte Berufsgruppen. 

► Die Strategie der Krankenkassen

  • Mit ihren Vorwürfen wollen die Krankenkassen den Eindruck erwecken, es gebe einen Anstieg der Pflegepersonalkosten ohne einen realen Zuwachs an Pflegekräften und Pflegeleistungen. Tatsächlich ist die Zahl der Vollkräfte in der Pflege an deutschen Krankenhäusern von 2008 bis 2018 um 16 Prozent gestiegen. Dennoch gab es 2017 laut offizieller Statistik noch über 10.000 offene Stellen. Die Krankenhäuser haben sich also auch schon vor Einführung des Pflegebudgets und trotz Fachkräftemangel um mehr Pflegepersonal bemüht.
  • Die Anschuldigungen sollen von der eigentlichen Absicht der Krankenkassen ablenken: Sie wollen die finanziellen Auswirkungen des Pflegestärkungsgesetzes minimieren – was eindeutig der Intension des Gesetzgerbers widerspricht.
  • Um ihre Ausgaben zu senken, versuchen die Krankenkassen, die im Pflegebudget abrechnungsfähigen Gehälter durch Fokussierung auf examinierte Pflegekräfte zu begrenzen. Auch das widerspricht, wie die Schiedsstellen-Entscheidungen belegen, dem Willen des Gesetzgebers.
  • Dahinter steht auch das Ziel der Kassen, die Zahl der Krankenhäuser durch „kalte Strukturbereinigung“ zu reduzieren. Ihr Kalkül: Wenn Krankenhäuser gezwungen sind, examinierte Pflegekräfte einzustellen, diese am Arbeitsmarkt aber nicht bekommen, müssen sie ihre Leistungen reduzieren bzw. Abteilungen oder ganze Standorte schließen.

► Selbstkostendeckung funktioniert nicht

  • Der Disput um das Pflegebudget zeigt: Die gute Absicht der Bundesregierung, die Pflege in den Krankenhäusern zu stärken, lässt sich mit der Wiedereinführung des Selbstkostendeckungsprinzips nicht erreichen.
  • Auch wenn die Vorwürfe der Krankenkassen unberechtigt sind, schafft die Ausgliederung der Pflegekosten aus den Fallpauschalen bei den Kliniken kaum Anreize zu wirtschaftlicher Personalpolitik, denn:  vorhandenes Know-How und Innovationen zur Entlastung der Pflege, wie Arbeitsteilung mit Pflegehilfskräften, Investitionen in Digitalisierung und schlanke Prozesse werden durch ein Selbstkostendeckungsprinzip überflüssig gemacht.
  • Zudem werden sich Krankenkassen und Krankenhäuser wohl nie konfliktfrei auf sachgerechte Pflegebudgets verständigen. Inzwischen geben auch die Krankenkassen zu, dass das Pflegebudget „die falsche Antwort auf die richtige Frage“ ist (Matthias Mohrmann, Vorstand AOK Rheinland/Hamburg).